Ruhe finden in einer schnellen Welt? 3 Ideen, wie das gehen könnte

In letzter Zeit ist es etwas ruhiger um uns geworden – nach einem trubeligen und anstrengenden Jahr 2023. Deshalb dachte ich, es sei eine gute Idee, bei einem Zen-Schweigeseminar teilzunehmen. 5 Tage zu Beginn des Jahres 2024 richtig runterfahren, das war mein Plan im „Sesshin“ (Chin. für „Versammlung oder Konzentration des Geistes“) bei Genjo Marinello, einem Zen-Meister aus Seattle.

Mein Auftrag: Runter kommen und Focus finden! Komprimiert und schnell wieder auf Spur kommen. Weg von meiner Schnelligkeit, diesem ständigen Modus von „immer einen Schritt voraus“.  Ziel- und zweckgerichtet muss es sein, im „Funktionsmodus“ – so sah meine Startposition für das Sesshin aus.

Mit meinem Auftrag im Gepäck saß ich – grob zusammengefasst – täglich etwa 6 bis 8 Stunden auf einem Meditationskissen. Das wurde schon nach dem 1. Tag recht schwer – meine Knie und der Rücken taten weh – und die vielen Regeln waren mir fremd.

Wann verbeugen, wie verbeugen, wann wo wie gehen? Nach welchen Regeln essen? Blickkontakt? Wann und wie mit Genjo, dem Zen-Meister, sprechen? Nach dem 1. Tag hatte ich zumindest grob verstanden, wie die (relativ strikten) Regularien waren. Diese waren im Verlauf der Tage – nach meinem anfänglichen Widerstand – sehr beruhigend im Kontrast zu meinem Innenleben. In dem ging es nämlich „heiß her“ und ich hatte eine Fülle an Erkenntnissen und Ideen, die besonders durch die 1-zu-1-Gespräche mit Genjo getriggert wurden. Hier 3 davon, die den Funktionsmodus im Arbeitsalltag in neue Kontexte setzen:

Idee 1: Hinter dem Funktionsmodus steckt der Wunsch, möglichst immer glücklich zu sein.

Das ständige Glück wird nicht selten in Life-Coaching, Esoterik oder im Marketing suggeriert, ganz nach dem Motto ­„Think positive“, dann wird`s schon klappen mit dem Glück.

 

Der Versuch liegt nahe, aus glücklichen Momenten so viele wie möglich zu machen.

 

Das ist leicht. Ich renne einfach von einem schönen Event zum nächsten. Ich mache aus jedem Augenblick einen Genuss, bloß keine Langeweile aufkommen lassen!

 

Der Effekt: Auf Dauer zerstreue ich mich und steige ein in  – ich nenne es mal – die „Zentrifugalkraft“ unserer Zeit und übertrage den Funktionsmodus auf viele Lebensbereiche. Am Wochenenden oder im Urlaub zum Beispiel, da lässt sich gut ein Event nach dem anderen planen – erst Kiten, dann zum Event-Cooking und am nächsten Tag zum Inselhopping? Das steht in krassem Gegensatz zu unserer Lebensdauer, die auf jeden Fall endlich ist.

 

Dieses Lebenskonzept kann auf Dauer nicht aufgehen.

 

Denn: Es birgt die große Gefahr der tiefen Erschöpfung, der Depression und des Burn-Outs. Nicht nur, weil jeder Genuss, jeder Glücksmoment aufhört und nach immer mehr verlangt, sondern, weil dieses Konzept die „Seinsverfasssung“ (wie Sören Kierkegaard das nennt) leugnet. Zu dem gehört auch die Endlichkeit und der damit verbundene Schmerz.

Idee 2: Der Mensch ist in die Zeitlichkeit eingebunden. Das schmerzt.

Nach den ersten 2 Tagen war ich drin! Die Regularien trugen mich durch den Tag, die Gruppe ebenfalls – ganz ohne Sprechen.

Jeder Moment verging einfach. Dieses Gedankenkino war recht unterhaltsam. Meine inneren Dialoge und Narrative nicht uninteressant. Ein bisschen wie „meine Freundin werden“. Das fand ich schön, ich war richtig glücklich! Das war es, was ich gesucht habe. Zugleich bemerkte ich, wie auch dieses Gefühl vorbeizog. Da ließ sich nichts dran ändern.

Schlimmer noch: Das Glück setzt die Vergänglichkeit in ein „Brennglas“ des Augenblicks.

Denn gerade in glücklichen Momenten wird uns etwas bewusst, das schmerzt: Die Vergänglichkeit. Der Effekt während des Sesshins: Radikale Selbstakzeptanz. Die Gegenwart ist nicht nur Glück, sondern auch Schmerz – darüber, dass es aufhört. Deshalb richten wir uns gern in die Zukunft oder die Vergangenheit aus. Das ist leichter verdaulich. Und tut nicht weh.

Idee 3: Ruhe zu finden durch die Beobachtung, was gerade ist

Ich behaupte mal: (Selbst-) Beobachtung und Selbstakzeptanz sind der Schlüssel zur Ruhe. Der ist häufig wenig ausgebildet – außer bei Menschen, die regelmäßig meditieren oder sich in Achtsamkeit üben.

Normal ist Multitasking

Viele sind – so wie ich – innerlich meist schon bei der nächsten Aufgabe, einem Ziel oder bei einer Strategie. Das wird nicht selten mit Focus verwechselt, von mir zumindest. Erinnern Sie sich an meinen Auftrag im Sesshin? Focus finden, schnell wieder auf Spur kommen.

Zerstreut und abwesend zu sein, das sind gängige Effekte des Funktionsmodus – und ständige Themen mit Führungskräften im Einzelcoaching. Wie soll es auch anders gehen bei der Masse an Aufgaben? Schwierig wird es, wenn man damit nicht mehr aufhört (wie ich zumindest).

Zu leicht ist die Versuchung des Ausweichens! Nebenbei Mails checken, Nachrichten hören, Insta, TikTok usw. Ausweichen – geistig sich mal hier und da bewegen – ist einfach und bequem. Die Dinge nur halb tun ist ein Standard, der durch viele digitale Formate immer leichter wird. Bei der Sache zu bleiben ist schwer, mühsam und strengt an.

Wer versucht, aufmerksam zu leben, merkt schnell: Es ist anstrengend.

Ich jedenfalls bin abends in meinem Sesshin um 22Uhr ins Bett gefallen und habe 1 Woche gebraucht, um mich zu regenerieren.

Und meinen Zweck für das Sesshin (Focus!) habe ich nicht erfüllt. Auch eine schmerzliche Erfahrung. Was ich jedoch erahnen kann, ist etwas anderes: Meinen inneren Kompass, manche nennen das Vertrauen. Der gibt mir Ruhe. Die nehme ich mit in das neue Jahr und wünsche ich Ihnen ebenso!

Und: Wenn Sie die Ruhe kurz treffen, grüßen Sie recht herzlich von mir! Und haben Sie einen schönen Restfebruar.

 

Ihre

Dr. Katharina Ludewig

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