Kein Tag vergeht, an dem ich nicht hoffe: Ich hoffe darauf, dass der Zug pünktlich kommt, dass der Projektabschluss klappt oder dass es meinen Liebsten gut geht. Ich hoffe, dass ich wieder gesund werde, wenn ich krank bin. Und dass der Krieg endet. Ich schreibe ständig meine Geschichten weiter, spinne mir ein hoffnungsvolles Narrativ für die Zukunft.
Wie ich darauf komme? Hoffnung hat zu wenig Platz – zumindest in unserem (Arbeits-) Alltag. Auch Psychologie und Philosophie sagen wenig dazu. Schade, denn „Hoffnung hilft uns leben“, so wusste Johann Wolfgang von Goethe. Hoffnung schützt, hilft bei Krankheiten, bei Krisen und im Krieg. Sie bewegt sich immer zwischen dem Jetzt und der Zukunft, guckt nach vorne und ist produktiv. Hoffnung ist eine Erwartung an die Zukunft, die möglicherweise besser ist. Und sie fängt dann an, wenn man nicht mehr handeln kann. Wenn etwas außerhalb des eigenen Gestaltungsraums liegt.
In „Die Kunst des Hoffens. Krankheit zwischen Erschütterung und Neuorientierung“ gliedert der Medizinethiker Giovanni Maio (2015) Hoffnung in 3 Elemente. Diese helfen, die stärkenden Komponenten der Hoffnung schnell zu verstehen:
Hoffnung ist realistisches Erkennen
Schwere Krankheiten oder ein Krieg sind Grenzsituationen. Warum? Weil ich dann erkenne, dass die Zukunft bedrohlich ist. Es geht hier um das kostbarste Gut der Menschen, um die Unversehrtheit des Körpers. Man erkennt, dass eben nicht „alles gut wird“. Hoffnung geht tiefer als „alles wird gut“. Mehr als reine Heilung und Frieden. Was ist, wenn weder Heilung noch Frieden eintreten? Dann scheint alles hoffnungslos. Dies deutet Maio als Ausdruck von Ungeduld, von fehlender Klarsicht. Weshalb ein realistisches Annehmen der Anfang aller Hoffnung ist.
Hoffnung ist, offen zu bleiben
Endet eine Krankheit oder ein Krieg nicht, ist die Kunst des Hoffens, offen zu bleiben. Sich nicht zu verschließen vor dem, was eintritt. Die Hoffnung ist flexibel, nicht konkret. Sie bewegt sich weg von einem bestimmten Ziel, sie ist eher ein grundsätzliches Vertrauen.
Selbst, wenn der Projektabschluss nicht klappt, selbst, wenn der Zug Verspätung hat, selbst, wenn meine Krankheit nicht heilbar ist: Ich werde einen Weg finden, damit umzugehen.
Oder, um es mit dem 1825 verstorbenen Schriftsteller Jean Paul zu sagen: „Hoffnung hat das Gute, dass sie die Furcht verdrängt“
Hoffnung ist, daran zu glauben, dass sich Dinge ereignen, die einem doch Kraft geben
Ein bis in die ausweglosesten Situationen hinein, bis zuletzt hoffender Mensch sieht klar, sieht realistisch. Der Unterschied zur Verzweiflung liegt darin, dass man nicht den Sinn verliert. Wie? Indem man auf die eigenen, inneren Ressourcen vertraut, um mit der Situation umzugehen. Ich persönlich glaube, dass sich gläubige Menschen leichter mit der Hoffnung tun. Doch auch Atheisten haben häufig etwas, worin sie sich aufgehoben fühlen. Was das sein kann? Ein getragenes Gefühl, ein inneres Zutrauen, eine Verbundenheit.
Friedrich Nietzsche sprach von der Hoffnung als dem „Übelsten vom Übel, weil sie die Qual der Menschen verlängert“. Beispielsweise, wenn ich an Beziehungen festhalte, die aussichtlos oder dysfunktional sind. Hoffnungen sind dann falsch, wenn ich auf etwas hoffe, was nicht eintreten wird. Dass die Chefin sich ändert, dass die Kollegin endlich anders guckt. Oder dass ich von einer Krankheit genese, die unheilbar ist. Dann hält sie uns vom reellen Leben ab. Woher das kommt? Vom ungenauen Hinschauen. Vom nicht Annehmen von Situationen. Vom Wegschauen. Von der Angst.
Es gibt immer Hoffnung, selbst in der größten Hoffnungslosigkeit. Und dabei spreche ich nicht von einem pseudooptimistischen Festhalten an Vorstellungen, was nicht (mehr) ist. Sondern ich spreche von einem Realismus, der sich dem stellt, was gerade ist. Und ich spreche von einer Vor-Stellung, die mich selbst in die Zukunft stellt, voranstellt – in positiver Erwartung. Denn dann kann ich etwas tun. Nicht nur aus geistiger Überzeugung, sondern aus dem Herzen mit der Hoffnung, dass mir etwas entgegenkommt, das ich jetzt noch nicht kenne. In der Zukunft. Mit Vertrauen.
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