Glückliche Menschen leben länger, so der Arzt und Wissenschaftsjournalist Werner Bartens in seinem Buch Körperglück. Das klingt erstmal gut, denn im Grunde möchten alle Menschen glücklich sein.
Welche kritischen, gesellschaftlichen Entwicklungen sich anhand der aktuellen Ratgeberliteratur zum Thema Glück ablesen lassen, darauf geben der französische Essayist und Philosoph Pascal Bruckner und die Zürcher Soziologin Stefanie Duttweiler Antworten.
Lebensratgeber haben eine längere Tradition, als man zunächst vermuten mag. Der Boom der Lebenshilferatgeber, der bis heute anhält, nimmt seinen Anfang in den 1980er Jahren. Das lässt sich auch daran ablesen, dass die Warensystematik des deutschen Börsenvereins seit 2007 Ratgeberliteratur von Sachbüchern trennt.
Bei der Recherche in Ratgeberlisten und im Internet zeigt sich schnell: Die Bandbreite von Ratgebern, die das Glück thematisieren, reicht von meditativen, buddhistischen, spirituellen, esoterischen über psychologische, philosophische, psychosomatische oder medizinische Bücher. Ein prominentes Beispiel unter dem kaum überschaubaren Angebot ist Hirschhausens „Glück kommt selten allein“, das länger als ein Jahr in den Bestsellerlisten rangierte. In manchen dieser Glücksratgeber werden technische Anleitungen dafür gegeben, wie man sich verhalten soll, um glücklich zu sein. Das Glück, so der Tenor vieler Ratgeber, ist eine Frage der eigenverantwortlichen Wahl und Entscheidung. Trauer, Schmerz oder Unzufriedenheit gelten darin – oftmals implizit – als Makel.
Der französische Essayist und Philosoph Pascal Bruckner spricht in diesem Zusammenhang von einer Verpflichtung zum Glück. Im Glück, so Bruckner, liege der Fluch der Moderne. Man sei „verdammt zum Glück“. Seither sei das Glück selbst von einer Sehnsucht zu einem Programm avanciert. Das grundlegende Problem dabei sieht der Philosoph darin, dass mit diesem Programm eine Pflicht zum Glücklichsein entstünde. Der Autor spricht von einer „Religion des Glücks“, die „von der Idee der Beherrschung beseelt ist“. Das heißt, der Mensch schreibt sich in der Moderne selbst die Beherrschung des Glücks und des Lebens zu. Daraus resultiert einerseits, dass das Glück in die Hände der Menschen gelegt wird. Die wiederum sind quasi verpflichtet zum Glück.
Die Soziologin Stefanie Duttweiler von der Universität Zürich hat aktuelle Glücksratgeber mit einem ebenfalls kritischen Blick untersucht. Grundsätzlich deutet die Wissenschaftlerin Glücksratgeber als eine Aufforderung zur Selbstoptimierung und eine Form neoliberaler Regierungsform. Das heißt, wenn sozialstaatliche Leistungen gekürzt würden, ist es nur konsequent, wenn Menschen sich an anderer Stelle Hilfestellung und Rat holen.
Ein gravierendes Problem an Ratgebern allgemein sieht Duttweiler jedoch darin, dass individuelle Problematiken und die soziale Herkunft der Einzelperson darin nicht beachtet würden. In Ratgebern würden – sei es nun zum Glück oder zur Gesundheit oder zu Krankheiten – implizit Normen kreiert. Man geht darin vom Allgemeinen und Normalverteilungen aus, an denen sich die Leser dann orientieren. Andererseits würde Glück damit als etwas ausgewiesen, das zwar nicht selbstverständlich, aber für jeden, zu jeder Zeit, an jedem Ort und in jeder Tätigkeit möglich ist.
Ein weiteres Problem an Glücksratgebern ist die Forderung nach Selbstoptimierung, die oft nur implizit auftaucht. Je mehr Selbsthilfekonzepte und Ratgeber man liest, desto mehr verschiedene Sichtweisen hat man. Dann entsteht vermutlich das, was der Neuropsychologe und Autor Paul Persall folgendermaßen beschreibt: Je mehr Selbsthilfekonzepte ich während meiner Krankheit kennen lernte, desto stärker geriet ich unter Druck und umso hilfloser fühlte ich mich. Ich fragte mich, was mit mir nicht stimmt.
Denn immer wenn man bei der Arbeit an sich selbst und am eigenen Glück scheitert, ist das die eigene Verantwortung. Man fragt sich, was mit einem nicht stimmt. Und so können Glücksratgeber gesellschaftsdiagnostisch dahingehend gedeutet werden, dass sie die eigenverantwortliche Transformation des Sozialen konkret mitproduzieren und konkrete Anleitungen in einer sich gravierend verändernden Gesellschaftsstruktur geben.
Wenn Pascal Bruckner für ein Recht des Menschen plädiert, auch unglücklich sein zu dürfen, dann meint er damit auch, dass der Zwang zum Glück den Menschen unfrei und unglücklich macht. Das belegt auch eine Studie, in der die Schüler des Oberstufenkurses „Glück“ der Willy-Hellpach-Schule in Heidelberg teilgenommen haben.
Das Ergebnis: Diejenigen Schüler, die sich mit dem Glück beschäftigt haben, neigen dazu, das Glück zu problematisieren und unglücklicher zu sein.
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